Gestern gab es im noch verbleibenden Teil der grünen Wählerschaft in Österreich ein großes „Aufatmen“: Der Falter, die Wiener Wochenzeitung, hatte ein tendenziöse Verteidigung der Lena Schilling publiziert, die die grünen Fanboys und -girls in Sozialen Medien als Reinwaschung ihrer EU-Kandidatin und ihrer Partei lesen wollten. Die Verzweiflung trägt manchmal seltsame Blüten.

von Christian Klosz

Wenn man den Falter-Text von Barbara Toth liest, stellt sich die Frage, ob das jene auch getan haben. Denn darin geht es einzig um eine scheinbare „Kontextualisierung“ von Schillings Chat-Nachricht, sie würde niemanden so sehr wie die Grünen hassen. An der Aussage, deren Fragwürdigkeit ändert der Falter-Text nichts. Auch der Kontext der Aussage ändert nichts daran, dass es mehr als irritierend ist, wenn eine Person, die plant, für eine Partei zu kandidieren, wenige Monate davor meint, dass sie diese Partei immer gehasst habe. Dass manche Grüne das auch noch verteidigen, gibt Rückschlüsse darüber, wie dünn die Personaldecke und wie groß die Verzweiflung intern derzeit wirklich sein muss.

Es bleiben 3 relevante Aspekte übrig:

1. Was ist mit Schillings kolportiertem Ansinnen, die Fraktion im EU-Parlament nach Wahlerfolg wechseln zu wollen? Was mit den schon vor dem neuen Standard-Artikel im Raum stehenden Vorwürfen gegen die Kandidatin, Lügen über Kollegen, Mitbewerber, Journalisten verbreitet zu haben? Inwiefern werden diese Vorwürfe durch diese halbgare Gefälligkeitsberichterstattung des Falters relativiert oder widerlegt?

2. Das eigentliche Problem des ganzen Schauspiels ist ohnehin nicht Lena Schilling, sondern die grüne Führungsriege und ihr katastrophaler Umgang damit. Was ändert die „Kontextualisierung“ eines von zahlreichen „Chats“ daran?

3. Der Falter hat sich mit dem Artikel Methoden bedient, die er seit Jahren – zurecht – bei der ÖVP und ihr verbundener Medien kritisiert hatte: Im Rahmen der Chat-Affären um Kurz, Schmid und Co, bei denen der Falter einen wichtigen journalistischen Beitrag leistete, traten nach Bekanntwerden regelmäßig türkise Politiker und PR-Leute in Medien auf, die eine „Kontextualisierung“ des Gesagten / Geschriebenen forderten. „Kriegst eh alles, was du willst“ an Thomas Schmid sollte dann plötzlich eine völlig unproblematische Aussage sein. Die müsse man ja nur im Kontext lesen. Selbe Strategie wendet auch die FPÖ an, wann immer grausige Aussagen ihres Personals publik werden. Der Falter wies – ebenfalls zurecht – immer wieder darauf hin, dass diese befangenen Verteidigungsreden nichts an den Vorwürfen und problematischen Aussagen ändern würden. Trotzdem macht der Falter (und nebenbei auch viele Grün-Politiker und -Sympathisanten, die das bei ÖVP und FPÖ stets kritisiert hatten) nun genau das, was man anderen jahrelang vorwarf. Weil es politisch opportun erscheint. Er lässt sich vor den im Schlamm feststeckenden politischen Karren der Grünen spannen. Und hat damit den Bereich des seriösen und unabhängigen Journalismus verlassen.

Bild: (c) Falter

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