Morgen beginnt die Tour de France, das größte und wichtigste Radrennen der Welt. Dieses Jahr findet der Start in Florenz statt, ein selten dagewesenes Spektakel wurde erwartet, da das Teilnehmerfeld zum besten der letzten Jahrzehnte gehört: Die Superstars Pogacar, Vingegaard, Evenepoel, Roglic, Bernal, Thomas und Co. treten gegeneinander an, vor allem das ewige Duell Pogacar-Vingegaard wird mit Spannung erwartet. Doch dunkle Corona-Wolken ziehen vor dem Peloton auf und bereiten den Teams, dem Veranstalter und den Fahrern bereits vor dem Grand Départ große Sorgen, drohen dem Radsport zum wiederholten Male einen Strich durch die Rechnung zu machen.

von Christian Klosz

An sich geht der professionelle Radsport mit dem Thema Corona weiterhin um einiges vernünftiger und weitsichtiger als der Rest der Gesellschaft und andere Sportarten um. Erkrankungen werden meist noch offen kommuniziert, viele Teams setzen intern immer noch auf strenge Covid-Sicherheitsprotokolle, wie etwa Visma-Lease a Bike, das dominante Team der letzten Jahre. Kürzlich wurde bekannt, dass man dort weiterhin auf tägliche Corona-Tests setzt, um Infektionen frühzeitig erkennen und infizierte Sportler sofort isolieren zu können. In den letzten Tagen wurde offiziell konkretisiert, dass bei der Tour de France 2024 teamintern neben Hygienevorschriften und Masken auch tägliche PCR-Tests zum Einsatz kommen werden.

Strenge Corona-Schutzkonzepte bei Teams

Seitens der UCI (der Radsport-Weltverband) und des Tour-Veranstalters ASO gibt es heuer hingegen keine verpflichtenden Schutzmaßahmen, zumindest sind keine bekannt (ungleich der Tour 2023, als es nach dem „Corona-Giro“, der Giro d’Italia ist das zweitwichtigste Radrennen der Saison, etwa Maskenpflicht für Journalisten gab). Angesichts der Corona-Sommerwelle eine problematische Entscheidung, die sich zum Bumerang entwickeln könnte. Die Verantwortung bleibt also bei den Teams. Neben Visma-Lease a Bike haben unter anderem auch das deutsche Red Bull-Bora-hansgrohe Team mit Favorit Primoz Roglic oder das belgische Team Soudal-Quickstep mit Favorit Remco Evenepoel interne Maßnahmen öffentlich bestätigt. Letzterer trat übrigens bei einer Pressekonferenz gestern mit Corona-Schutzmaske auf.

Ob und wie sich das Virus in den nächsten 3 Wochen im Feld und den Teams ausbreiten wird, wird sich zeigen. Von einem „Glücksfall“ mit wenigen Infektionen (in jedem Rennen in den letzten Monaten mussten einige Fahrer aufgrund von Corona-Infektionen aufgeben) bis hin zur Totalkatastrophe mit einem Ausbruch in großen Teilen des Pelotons ist alles drin.

Mitfavoriten nicht am Start – wegen Corona-Infektion

Soweit der Blick in die Zukunft. Doch bereits in den letzten Wochen hatte Corona massive Auswirkungen auf die Teams, einzelne Fahrer und die Vorbereitung zur Tour: Tao Geoghegan Hart vom Team Lidl-Trek gab vor rund 2 Wochen über Soziale Medien eine schwere Corona-Infektion bekannt. Er sei „sehr krank“ gewesen und konnte eine Woche nicht auf dem Rad sitzen und trainieren, obwohl er gedacht habe, dass „diese Zeit schon vorbei“ (Anm.: er meint die „Corona-Zeit“) wäre. Hart ist Giro-Sieger aus dem Jahr 2020 und sollte als Kapitän und Gesamtklassementfahrer für sein Team ins Rennen gehen, man hoffte auf einen Top 10-Platz, nachdem er schon im letzten Jahr aufgrund eines Sturzes aufgeben musste. Daraus wird nun nichts, da er seinen Tour-Start wegen der kürzlichen Corona-Infektion absagen musste: Hart wird morgen nicht starten.

Ein ähnliches Schicksal ereilte Sepp Kuss, Vuelta-Sieger (neben Tour und Giro die dritte Grand Tour des Jahres) aus dem Vorjahr und Edelhelfer des 2-fachen und auch letztjährigen Tour-Siegers Jonas Vingegaard: Wie sein Team Visma-Lease a Bike letzte Woche bekannt gab, kann Kuss nicht bei der Tour de France starten, da er sich von einer Corona-Infektion nicht erholt habe und nicht ausreichend fit sei. Ein weiterer, schwerer Rückschlag für das erfolgsverwöhnte Team, das diese Saison bereits eine Vielzahlt an Ausfällen zu beklagen hatte.

Auch David Gaudu, Kapitän des französischen Groupama-FDJ-Teams und Vierter bei der Tour de France 2022, hat es erwischt: Letzte Woche gab sein Team bekannt, dass auch er positiv auf Corona getestet worden sei. Laut jetzigem Stand soll er morgen trotzdem an den Start gehen, von einem Erfolg wie 2022 ist angesichts der Umstände wohl nicht auszugehen, der angepeilte Top 5 / Top 10 Platz illusorisch. Im letzten Moment stellte das Team auch noch seine Aufstellung um: Jungstar Lenny Martinez, der nicht für die Tour vorgesehen war, kam ins Aufgebot – vermutlich in Befürchtung, dass Gaudu sein Potential nicht wird abrufen können, für das Gesamtklassement nicht in Frage kommen wird oder das Rennen frühzeitig verlassen wird müssen. Warum man ihn dann überhaupt an den Start schickt, ist eine andere Frage.

Auch Superstar Pogacar mit kürzlicher Infektion

Doch nicht genug: Gestern wurde bekannt, dass auch Sprint-Star Mads Pedersen und Giro-Sieger und Tour-Topfavorit Tadej Pogacar kürzlich Corona-Infektionen hatten. Pogacar sprach bei einem Pressetermin davon, dass er vor 10 Tagen positiv getestet worden sei. Er habe sich zwar nur „etwas krank“ gefühlt, eine „milde Infektion“ gehabt und sein Training nur kurz aussetzen bzw. umstellen müssen, aber eine ideale Vorbereitung sieht anders aus. Pogacar ließ sich schließlich zu der Aussage hinreißen, dass Covid inzwischen ja „anders als damals“ sei und sich der Körper „daran gewöhnt habe“, es sei immerhin nicht seine erste Infektion gewesen, weshalb eine weitere Infektion nun nicht mehr so dramatisch wäre – zumindest eine aus wissenschaftlicher und medizinischer Sicht schwer fragwürdige Aussage. Es mag sich auch um schlichtes Wunschdenken des Radsport-Superstars handeln, da ein Positivtest für viele Fahrer ein Schock ist und ihre monatelange Vorbereitung auf die Tour zunichte machen kann. Ob Pogacar wirklich so fit ist, wie er betont, oder nicht, wird sich die nächsten 3 Wochen zeigen. Es ist zumindest anzunehmen, dass seine kürzliche Erkrankung sich auf das von vielen heiß erwartete Duell Pogacar vs. Vingegaard auswirken wird.

Gestern machten auch Gerüchte die mediale Runde, dass Pogacars Teamkollege und Podium-Anwärter Juan Ayuso positiv getestet worden sei. Ensprechende Berichte verschwanden aber kurz danach wieder von den Webseiten, entweder es handelte sich um eine Ente, oder das Team UAE wollte neben der Pogacar-Info keine weiteren schlechten News verbreitet wissen.

Die drastischen Auswirkungen sind nun bereits vor dem Start klar: Durch das Nicht-Antreten von Mitfavoriten und wegen kürzlicher Infektionen von Top-Fahrern hat das Corona-Virus bereits vorab Einfluss auf das Ergebnis der Rundfahrt. Und die hat noch nicht einmal begonnen.

Für Radsportfans bleibt zu hoffen, dass sich die Corona-Fälle während der Tour de France in Grenzen halten und es nicht zu einem Giro-Schicksal kommt: Beim Giro d’Italia 2023 mussten dutzende Fahrer aufgrund positiver Tests und Corona-Erkrankungen das Rennen verlassen, unter anderem der damals Führende Remco Evenepoel. Der zumindest scheint gelernt zu haben: Seine Maske bei erwähntem Presseauftritt erklärte er mit Vorsicht und Angst davor, ein weiteres Giro-Schicksal zu erleiden.

Titelbild: Aufnahme von der Tour de France 2023, im Bild (u.a.) Jonas Vingegaard, Sepp Kuss, Tadej Pogacar

(c) filip bossuyt from Kortrijk, Belgium, CC BY 2.0 https://creativecommons.org/licenses/by/2.0, via Wikimedia Commons

Hinterlasse einen Kommentar

Angesagt