Die EU-Wahl ist geschlagen: Im großen, gesamteuropäischen Kontext blieben die Umwälzungen überschaubar, die EVP ist immer noch die größte Fraktion im EU-Parlament. Rechtspopulisten und -extreme gewannen zwar dazu, aber nicht in dem Ausmaß wie erwartet.

von Christian Klosz

Ein Blick auf einzelne Staaten, deren Detailergebnisse und die spezifischen Bedingungen vor Ort ist allerdings alles andere als „beruhigend“: In Frankreich musste die Macron-Partei eine herbe Niederlage gegen die rechte Le Pen-Partei einstecken, der Parteichef rief überraschend Neuwahlen aus. In Deutschland gewann die nach rechts gerückte CDU/CSU souverän, die rechtsextreme AfD überholte die Kanzler-Partei SPD, die Grünen verloren massiv stimmen. Insbesondere der Triumph der AfD im Osten ist schockierend.

In Österreich gewann wie prognostiziert die FPÖ die Wahl, allerdings mit geringerem Vorsprung als vorhergesagt. Etwas überraschend kam die ÖVP auf Platz 2, knapp vor der SPÖ. Die Grünen verloren – ebenso überraschend – weniger Stimmen, als erwartet und landeten knapp vor den NEOS auf Platz 4.

Abgesehen von oberflächlichen „Trends“ und den nackten Zahlen ist diese Wahl vor allem eines: Ein besorgniserregender Ruf der Wählerschaft nach einem „Zurück in die Vergangenheit„, das dringend nötige, mitunter schmerzhafte Lösungen für Gegenwart und Zukunft negiert. Es ist ein Sieg der Verdränger, Populisten, Demagogen, die für alles eine einfache Lösung haben, nur nicht die richtige.

Die Herausforderungen der Zeit sind mannigfaltig: Klimakrise, Gesundheitskrise, Pandemie, Arbeitsmarktkrise, Teuerung, gesellschaftliche Verrohung, Kriege. Die Mehrheit der Menschen ist schon seit langem damit überfordert und wünscht sich eine rasche Rückkehr zu Sicherheit, Stabilität, „Sorgenlosigkeit“. Der Wunsch ist nachvollziehbar, aber angesichts der Realitäten illusorisch. Und mittel- und langfristig nur erreichbar, wenn erst die Ursachen, Probleme und Krisen anerkannt und analysiert werden und an nachhaltigen Lösungen gearbeitet wird. Diese müssen dann kommuniziert und umgesetzt werden.

Es wäre Aufgabe der Parteien, der Medien, der Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, diese Lösungen zu erarbeiten, zu erklären, einzufordern. Die meisten Parteien jedoch wagen nicht mal mehr den Versuch, aus Angst vor Stimmen- und damit Machtverlust. Politik verkam zum Selbstzweck für jene, die sie betreiben. Viele Medien gehen aus Angst vor „Klickverlust“ inzwischen ähnlich vor. Es wird nicht kommuniziert, hinterfragt, kritisiert, was ist, sondern was man sich wünscht. Oder was die Leserschaft hören will.

Seitens der Politik werden keine Lösungen angeboten, sondern Scheinlösungen bis hin zu „Fake News“ und Lügen, sei es nun Klimawandelleugnung („Verbrenner muss bleiben!“), Corona-, Long Covid-Leugnung und Pandemie-Revisionismus oder das Finden von Sündenböcken („Ausländer!“). Daran beteiligen sich übrigens – in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlichem Fokus – so gut wie alle Parteien und Medien (in jedem Fall in Österreich).

Dahinter liegt die Sehnsucht nach einer „guten, alten, einfachen“ Zeit, ein „magisches“, inhärent anti-aufklärerisches Weltbild mit faschistoiden Tendenzen. Das Leben soll wieder werden, „wie es immer war“, während sich die Realität immer weiter davon entfernt. Doch mit jeder Scheinlösung, die auf Verdrängung basiert, gerät das politische und gesellschaftliche System tiefer in die Krise(n), die realen Probleme werden größer. Und der Aufstieg faschistischer Kräfte, die den Menschen Sand in die Augen und Gift in Verstand und Seele streuen, wird weiter befeuert. Damit betreiben alle Parteien und Medien, sie sich an der verklärenden Verdrängungslogik beteiligen, indirekt das Geschäft von FPÖ, AfD und Co., oft ohne es zu merken oder ohne zu vordergründig zu wollen.

Eine Umkehr dieser tristen, düsteren Entwicklung Richtung Abgrund wird es erst geben, wenn unsere Gesellschaft ihren Sinn für die Wahrheit wiederfindet, sich den Krisen, ihren Ursachen, auch dem eigenen Versagen und der Mitschuld stellt und beginnt, an wirklichen Lösungen zu arbeiten.

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Bild: Harald Vilimsky (c) Emil Goldberg, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons

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